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Das Präventionsgesetz: Gesundheitsförderung in der Lebenswelt Kita

  • Interview
  • 23 Aug. 2024
Prävention und Gesundheitsförderung greifen dort wo Menschen leben, lernen und arbeiten. Zu diesen Lebenswelten gehört auch die Kita. Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz - PrävG) findet sich seit 2015 im Sozialgesetzbuch (§20 SGB V) und regelt die Zusammenarbeit von Sozialversicherungsträgern, Ländern und Kommunen in den Bereichen Prävention und Gesundheitsförderung. Die Krankenkassen haben dabei den Auftrag in präventive Maßnahmen zu investieren. Im Interview erklärt Herr Prof. Dr. Raimund Geene welche Bedeutung das Gesetz für den Bereich der Frühen Bildung hat und welche Entwicklungen durch eine Novellierung im Jahr 2023 zu erwarten sind.

Was war der Hintergrund für die Verabschiedung des Präventionsgesetzes? 

"Zentraler Hintergrund des Präventionsgesetzes ist die Erkenntnis, dass Krankenkassen in Deutschland bisher überwiegend in Kursmaßnahmen zur Verhaltensprävention investiert haben. Diese Investitionen dienten aber stärker dem Marketing der Kassen als der tatsächlichen präventiven Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung.

Mit dem Präventionsgesetz sollte die Verhältnisprävention, d.h. die Gesundheitsförderung in Lebenswelten, gestärkt werden. Dieser sogenannte „Setting-Ansatz“ gilt gemäß WHO (Ottawa-Charta 1986) mit dem Schlüsselkonzept der Gesundheitsförderung als Standard für eine moderne Gesundheitssicherung, insbesondere im Hinblick auf die Ziele „Gesundheit für Alle“ und das Konzept der gesundheitlichen Chancengleichheit."

Das Präventionsgesetz unterscheidet zwischen drei Leistungsarten: Leistungen der individuellen Verhaltensprävention, Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten (Settingansatz/Lebensweltansatz) sowie Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung (Betriebliche Gesundheitsförderung) (§ 20 Abs. 4 SGB V). 

Was bedeuten diese Leistungsspektren für den Kita-Bereich? 

"Mit dem Setting-Ansatz wird darauf abgezielt, Lebenswelten gesundheitsförderlich zu gestalten. Die Kita ist dabei ein Bereich mit besonders hohem Gestaltungspotenzial. Dies betrifft einerseits die Lebensphase der frühen Kindheit und andererseits die Offenheit des Bildungs- und Erziehungsauftrags. Daher steht die Kita (neben Schule), im Zentrum der Maßnahmen zur Förderung eines gesunden Aufwachsens – sowohl in Deutschland als auch international.

Dazu gehören allerdings auch Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung, die Schnittstellen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement, einschließlich Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit haben. Adressiert wird hier insbesondere der Bereich der gesundheitsfördernden Führung und Personalentwicklung über Träger- und Leitungsstrukturen."

Welche Vorteile bringt das Präventionsgesetz den Fachkräften in Kitas sowie den Kindern, deren Erziehungsberechtigten und ggf. den Trägern?

"Der Setting-Ansatz, der darin enthalten ist, versteht sich als systemisches Konzept, das gleichermaßen auf die Gesundheit von Fachkräften, Kindern, Eltern, Umfeld und auch Vertreter*innen der Träger abzielt. Gesundheit wird demnach nicht als zusätzliches (Bildungs-) Ziel behandelt, sondern als Förderung und Ausgleich der Interessen aller Beteiligten. Das Ziel und der Vorteil ist dabei, das Wohlbefinden aller durch strukturelle Maßnahmen, Partizipation und Empowerment zu erhöhen. Neben Angeboten, die Verhaltensprävention im Blick haben, wird also die Ebene der Verhältnisse mehr in den Fokus gerückt, was für eine Etablierung der Gesundheitsförderung notwendig ist.

Idealerweise stehen Kitas umfassende Unterstützungsmaßnahmen zur Gesundheitsförderung zur Verfügung, insbesondere durch Befragungs- und Beteiligungsprozesse in der gesundheitsförderlichen Organisationsentwicklung, gemeinsame Leitbildentwicklung, gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen und Etablierung nachhaltiger gesundheitsförderlicher Strukturen.

Ein Beispiel ist das Landesaktionsprogramm „Berlin bewegen – für eine gesunde Kita“ im Land Berlin, mit Netzwerkkoordinationen beim Senat und bei den Bezirken. Allerdings beschränkt sich die Mitwirkung der Kranken- sowie Unfallkassen (den eigentlichen Präventionsakteuren mit entsprechendem gesetzlichem Auftrag) an dem Landesprogramm überwiegend auf die Bereitstellung vorgefertigter kassenspezifischer Programme und sogenannter „Tools“."

Es scheint also auch Herausforderungen bei der Umsetzung von Maßnahmen, die an das Präventionsgesetz angelehnt sind, zu geben. Wie ist damit umzugehen?

"Wünschenswert wäre hier eine umfassendere Mitwirkung durch die Krankenkassen mit entsprechender Pool-Finanzierung von maßgeschneiderten Konzepten („taylored approaches“) für die jeweiligen Kitas. 

Derzeit wird dies jedoch blockiert, da Gesundheitsförderung in Kitas (ebenso wie in Schulen und Hochschulen) als ein Handlungsfeld gesehen wird, in dem sich Krankenkassen, mit Blick auf Eltern bzw. junge Erwachsene (sog. „gute Risiken“) als potenzielle Mitglieder der Kassen, durch Maßnahmen profilieren können.

Mit der Novellierung des § 20a SGB V im März 2023, der eine stärkere Gemeinschaftsverausgabung der Mittel in den Bundesländern vorsieht, ist ein erster Schritt in diese Richtung getan. Seitens der GKV wird eine Einbeziehung der Kitas aus den oben genannten Gründen bislang aber eher abgewehrt. 

Durch Modelle guter Praxis, weitergehende Normen durch die Nationale Präventionskonferenz, die Aufsicht der Kassen in den Ländern bzw. den Selbstverwaltungsgremien sowie letztlich insbesondere durch eine weitere Präzisierung des Auftrags der Verhältnisprävention durch den Bundesgesetzgeber ist zu hoffen, dass sich die Umsetzung dieser Entwicklungsaufgabe – die Stärkung der Gesundheit in Kitas – zukünftig deutlich dynamisiert."


Prof. Dr. Raimund Geene ist Professor für Gesundheitsförderung und Prävention mit dem Schwerpunkt auf kommunale Ansätze an der Alice Salomon Hoschschule Berlin und hat u.a. zur Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen publiziert.

Interview: Anna Pilchowski, WiFF

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